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Es wurde festgestellt, dass das HIV-Virus eine verborgene Transportfähigkeit besitzt

Weltweit infizieren sich jedes Jahr etwa eine Million Menschen mit HIV, dem Virus, das AIDS verursacht. Um die Infektion zu vermehren und zu verbreiten, muss das Virus sein genetisches Material in den Zellkern schleusen und in ein Chromosom integrieren. Forschungsteams um Dirk Görlich vom Max-Planck-Institut für multidisziplinäre Wissenschaft und Thomas Schwartz vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben nun herausgefunden, dass sich sein Kapsid zu einem molekularen Transporter entwickelt hat. Dadurch kann es direkt eine entscheidende Barriere durchbrechen, die normalerweise den Zellkern vor viralen Eindringlingen schützt. Durch diese Art des Schmuggels bleibt das virale Genom für antivirale Sensoren im Zytoplasma unsichtbar.

Vierzig Jahre nachdem das Humane Immundefizienzvirus (HIV) als Ursache von AIDS entdeckt wurde, gibt es zwar Therapien, die den Erreger effektiv unter Kontrolle halten, eine Heilung gibt es aber noch immer nicht. Das Virus infiziert bestimmte Immunzellen und kapert deren genetisches Programm, um sein eigenes genetisches Material zu vermehren und zu replizieren. Die infizierten Zellen produzieren dann die nächste Generation von Viren, bis sie schließlich zerstört werden. Die Immunschwächesymptome von AIDS resultieren aus dem massiven Verlust von Immunzellen, die normalerweise Viren und andere Krankheitserreger bekämpfen.

Um die Ressourcen der Wirtszelle zu nutzen, muss HIV sein genetisches Material durch zelluläre Abwehrlinien in den Zellkern schleusen. Der Kern wird jedoch streng bewacht. Seine Kernhülle verhindert, dass unerwünschte Proteine ​​oder schädliche Viren in den Kern eindringen und Makromoleküle unkontrolliert entkommen. Dennoch können ausgewählte Proteine ​​passieren, da die Barriere nicht hermetisch verschlossen ist.

Tausende winzige Kernporen in der Kernhülle bilden einen Durchgang. Sie steuern diese Transportprozesse mit Hilfe von Importinen und Exportinen – molekularen Transportern, die Ladungen mit gültigen molekularen „Passcodes“ einfangen und durch den Kernporenkanal transportieren. Ein „intelligentes“ Material verwandelt diese Poren in eine der effizientesten Sortier- und Transportmaschinen der Natur.

„Smarte“ Sortierung in der Kernpore

Dieses „intelligente“ Material, FG-Phase genannt, ist geleeartig und für die meisten Makromoleküle undurchdringlich. Es füllt und blockiert den Kernporenkanal. Importine und Exportine können jedoch passieren, da ihre Oberflächen für das Gleiten durch eine FG-Phase optimiert sind.

Die Grenzkontrolle der Zelle in der FG-Phase erfolgt extrem schnell – innerhalb von Millisekunden. Ebenso ist seine Transportkapazität enorm: Eine einzelne Kernpore kann bis zu 1.000 Transporter pro Sekunde durch ihren Kanal transportieren. Selbst bei einer so hohen Verkehrsdichte bleibt die Barriere der Kernporen intakt und unterdrückt weiterhin unerwünschte Grenzübertritte. HIV untergräbt diese Kontrolle jedoch.

Geschmuggeltes genetisches Material

„HIV verpackt sein Genom in ein Kapsid. Aktuelle Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das Genom im Kapsid bleibt, bis es den Zellkern erreicht, und somit auch beim Passieren der Kernpore. Es gibt jedoch ein Größenproblem“, erklärt Thomas Schwartz vom MIT. Der zentrale Porenkanal ist 40 bis 60 Nanometer breit. Das Kapsid hat eine Breite von etwa 60 Nanometern und könnte sich gerade noch durch die Pore quetschen. Allerdings wäre eine normale zelluläre Ladung immer noch von einer Transporterschicht bedeckt, die mindestens weitere zehn Nanometer hinzufügt. Das HIV-Kapsid wäre dann 70 Nanometer breit – zu groß für eine Kernpore.

Dennoch hat die Kryo-Elektronentomographie gezeigt, dass das HIV-Kapsid in die Kernpore gelangt. Doch wie das geschieht, war bei der HIV-Infektion bisher ein Rätsel.“

Dirk Görlich, Max-Planck-Direktor

Tarnung als molekularer Transporter

Gemeinsam mit Schwartz hat er nun herausgefunden, wie das Virus sein Größenproblem überwindet, und zwar durch eine raffinierte molekulare Anpassung. „Das HIV-Kapsid hat sich zu einem Transporter mit einer Importin-ähnlichen Oberfläche entwickelt. Auf diese Weise kann es durch die FG-Phase der Kernpore gleiten. Das HIV-Kapsid kann so in die Kernpore eindringen, ohne den Transportern zu helfen, und den sonst üblichen Schutzmechanismus umgehen.“ verhindert, dass Viren in den Zellkern eindringen“, erklärt der Biochemiker.

Seinem Team ist es gelungen, FG-Phasen im Labor zu reproduzieren. „Unter dem Mikroskop erscheinen FG-Phasen als mikrometergroße Kügelchen, die normale Proteine ​​vollständig ausschließen, das HIV-Kapsid mit seinem eingeschlossenen Inhalt jedoch quasi aufsaugen“, berichtet Liran Fu, einer der Erstautoren der jetzt im Fachmagazin veröffentlichten Studie Natur. „In ähnlicher Weise wird das Kapsid in den Kernporenkanal gesaugt. Dies geschieht auch dann, wenn alle zellulären Transporter entfernt wurden.“

In einer Hinsicht unterscheidet sich das HIV-Kapsid grundlegend von zuvor untersuchten Transportern, die Kernporen passieren: Es verkapselt seine Ladung vollständig und verbirgt so seine genomische Nutzlast vor antiviralen Sensoren im Zytoplasma. Mit diesem Trick kann das virale Erbgut unbemerkt durch das zelluläre Virusabwehrsystem geschleust und zerstört werden. „Damit handelt es sich neben Importinen und Exportinen um eine weitere Klasse molekularer Transporter“, betont Görlich.

Es gibt noch viele offene Fragen, etwa wo und wie das Kapsid zerfällt und seinen Inhalt freisetzt. Allerdings könnte die Beobachtung, dass das Kapsid ein Importin-ähnlicher Transporter ist, eines Tages für bessere AIDS-Therapien genutzt werden.

Quelle:

Zeitschriftenreferenz:

Fu, L., et al. (2024). HIV-1-Kapside gelangen wie ein Transportrezeptor in die FG-Phase der Kernporen. Natur. doi.org/10.1038/s41586-023-06966-w.

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